Warum auch Premiumkunden in der Masse schwimmen
Was ist besser, Fliegenfischen oder Schleppnetze auslegen? Diese Frage lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Was besser ist, kommt auf die Umstände an. Fliegenfischer werfen Köder für jeden einzelnen Fisch aus, Fischer mit Schleppnetzen vertrauen darauf, aus der Masse der Fischschwärme zu schöpfen. Ähnliche Strategien wurden früher im Marketing verfolgt: Bei der Kundenwerbung wurde entweder auf Klasse oder auf Masse gesetzt. Mit Hilfe der neuen Medien ist es heute möglich, beide Strategien gleichzeitig zu verfolgen und sogar mit Hilfe der Masse zur Klasse zu kommen.
Nach wie vor sind für die meisten Unternehmen die potentiellen Kunden und das angebotene Produkt eng miteinander verknüpft. Ein Hersteller von edlen Möbeln sucht seine Kunden unter den Vermögenden, während ein Textilien-Discounter die breitere Schicht einfacher Menschen ansprechen wird. Wer also Luxusartikel anbietet, setzt bei der Kundenwerbung von vornherein auf die Premium-Strategie. Wer Massenprodukte verkauft, spricht von vornherein die Massen an. Soweit so gut. Denn an sich klingt das logisch. Wenn der Lebensmittel-Discounter Aldi anfangen würde, mit seiner Werbung Manager und CEOs anzusprechen, würde das ziemlich deplatziert wirken. Aber ich lege die Hand ins Feuer, dass es durchaus Manager und CEOs gibt, die bei Aldi einkaufen. Und da steckt der Hase im Pfeffer!
Premium oder Low Budget?
Manche Unternehmer setzen auf absolute Top-Klasse und träumen davon, ausschließlich Premiumkunden zu bedienen. In vielen Fällen geht diese Strategie auf. Edle Restaurants oder Hotels haben oft regen Anlauf, exklusive Kleider sind nach wie vor gefragt, die Designer-Szene wird sogar Jahr für Jahr vielfältiger.
Aber nicht alle Branchen erzielen mit dem Premiumsegment die höchsten Umsätze. Die Luxussparten der Autokonzerne etwa geraten immer mehr in finanzielle Schwierigkeiten. Vergleicht man die Umsätze, die ein Konzern mit seinen Luxusautos macht, mit jenen, die er durch den Verkauf gängiger Autos erzielt, so wird das Pendel deutlich in Richtung der zweiteren ausschlagen.
Zugespitzt bedeutet die Premium-Strategie, nach dem einen Kunden zu suchen, der den Millionenumsatz bringt. Ein Unternehmen, das darauf setzen würde, würde sogar nach mehreren Insolvenzen immer noch nach dem einen Millionen-Kunden suchen.
Inzwischen ist allgemein bekannt, dass nicht nur das Premiumsegment zum Geschäftserfolg führt. Der amerikanische Journalist Chris Anderson hat in seinem Buch The Long Tail nachgewiesen, dass eine Masse von vielen kleinen Kunden genauso viel oder sogar mehr Umsatz bringen kann wie wenige große. Ein Anbieter kann im Internet durch eine große Anzahl an unscheinbaren Nischenprodukten richtig Gewinn machen.
Dieser Effekt trifft insbesondere für den Musik- und Bücherverkauf zu, wo selten verkaufte Titel in einem konventionellen Verkaufsgeschäft zu hohe Kosten verursachen würden. Bei Amazon jedoch erzielen die Musiktitel, die lediglich auf Verkaufsrang 500 bis 1000 stehen, in der Summe mehr Umsatz als die ersten 20 Titel. Hier bringt die Masse tatsächlich mehr als die Klasse.
Es gibt Musikproduzenten, die zwar nie einen Superstar wie etwa ABBA herausgebracht haben, die aber zwanzig weniger bekannte Gruppen managen und damit in der Summe mehr Umsatz machen als der Produzent eines einzigen Topstars. Die deutsche Pop-Gruppe Die Flippers etwa hat in Deutschland mehr umgesetzt als die schwedische Top-Band ABBA. Ihr Absatz von Tonträgern in zweistelliger Millionenhöhe wurde mit zwölf goldenen Stimmgabeln, zwei Echo-Trophäen, 31 goldenen und neun Platin-Schallplatten ausgezeichnet.
Spätestens seitdem Mark Zuckerberg durch die Erfindung von Facebook zum Milliardär wurde, ist jedem klar: Manchmal lässt sich mit einer breiten Bevölkerungsschicht der viel größere Gewinn erzielen. Bestes Beispiel ist Aldi, das unter dem Firmennamen Albrecht Discount mit Billigprodukten startete. Wer hat den höheren Absatz, Aldi oder Feinkost Käfer? Aldi Nord und Süd zusammen machten trotz der harten Preiskämpfe im Discounter-Segment einen Umsatz von 22 Milliarden Euro im Jahr 2010. Der Münchner Delikatesswarenhändler Käfer, der sich ausschließlich an die wohlhabende Schicht wendet, lag 2008 bei gerade mal 114 Millionen Umsatz, obwohl er ebenfalls international tätig ist.
In den meisten Fällen bringt die Masse mehr Umsatz als die kaufkräfige Schicht. Nicht umsonst eröffnen all die Ein-Euro-Shops stets neue Filialen. Es gibt eben zwei Strategien, Umsatz zu generieren. Dabei sollte man sich vom Image des Premiumsegments nicht blenden lassen.
Dies gilt nicht nur für den Einzelhandel, sondern auch in der Kulturbranche. Wer ist der bekannteste Filmproduzent? Sicherlich Steven Spielberg. Doch was viele Menschen nicht wissen: Mit einem weltweiten Umsatz von 15 Milliarden Dollar ist der Amerikaner Jerry Bruckheimer der erfolgreichste Filmproduzent aller Zeiten. Dieser hat mit zahlreichen mittelgroßen Erfolgen weitaus mehr Geld an den Kinokassen eingespielt als Großmeister Spielberg, auch wenn sein Pearl Harbour lange nicht so bekannt ist wie Schindler’s Liste.
Manche Anbieter stehen mit ihrem Angebot im Rampenlicht, während andere mit unscheinbaren Massenprodukten unglaubliche Umsätze generieren. Beide Wege sind möglich und beide werden auch weiterhin bestritten. Denn sie spiegeln das Kaufverhalten der Kunden wider. Die meisten Menschen kaufen heutzutage entweder, weil der Preis extrem niedrig oder die Qualität unschlabar ist. Für die Mittelklasse hingegen geben sie ihr Geld nur ungern aus. Die Folgen für Wirtschaft und Marketing: Die Polarisierung zwischen den beiden Strategien wird immer stärker. Unternehmen setzen entweder gezielt auf Masse oder gezielt auf Klasse – sowohl bei der Produktentwicklung als auch bei der Kundenansprache. Und jetzt bin ich wieder bei dem Hasen im Pfeffer.
Aldi spricht mit der gesamten Unternehmenskommunikation nur die breiten Massen an. Aber aus welchen Gründen auch immer machen auch gut situierte Kunden ihre Einkäufe bei dem Discounter. Warum also sollte Aldi nicht auch diese Kunden ansprechen? Wenn sie so kaufkräftig sind, könnten sie noch zu Großkunden werden. Meine Erfahrung zeigt: Egal, in welches Preissegment sich meine Produkte einordnen, es gibt dafür in der Regel viel mehr Interessenten, als ich denke. Und die Strategie, die Masse anzusprechen, kann langfristig sogar dazu führen, klasse Kunden zu bekommen.
Durch Masse Klasse erreichen
Häufig ist nicht klar, welches Kundenpotential gewisse Produkte haben. Organisiert jemand eine Tupperparty, so werden in der Regel Frauen eingeladen. Dabei kann es sein, dass ihre Männer die viel leidenschaftlicheren Köche sind. Oder dass sich neben den Frauen und den leidenschaftlichen Köchen auch ein Bastler für die Tupper-Dosen interessiert, der seine Schrauben darin aufbewahren möchte.
Daher ist es günstig, sich nicht von vornherein auf eine Zielgruppe festzulegen, sondern sich auf die Masse der Kunden einzulassen, um dann die Klasse herauszufiltern. Kunden, die Einmalkäufe tätigen, hat jedes Unternehmen. Diese bilden die Masse, in der auch potentielle Stamm- oder Großkunden zu finden sind. Woher kann ich aber wissen, welcher meiner Kunden plant, mehr bei mir zu kaufen? Da hilft nur, die Kunden immer wieder anzusprechen.
Ein Restaurant könnte eine Aktion starten: „Heute alle Gerichte zum halben Preis“. Damit wird die Masse der Kunden angelockt. Unter diesen vielen Kunden könnte aber auch einer sein, der jeden Mittag auswärts isst. Wenn ihm das Restaurant gefällt, wird er wieder kommen. Und wenn er bei jedem Besuch aufmerksam bedient wird und das Essen schmeckt, wird er womöglich zum Stammgast werden. Dieser Stammgast wurde jedoch nur geworben, weil zunächst auf die Masse gesetzt wurde.
Auch die Neuen Medien bieten eine gute Möglichkeit, die Masse der Kunden anzusprechen. Amazon etwa richtet sich an die große Masse und fordert mit seinen Buchempfehlungen die Kunden zum wiederholten Kauf auf. So kann aus dem Einmalkäufer ein Amazon-Stammkunde werden. Auch Amazon macht Umsatz mit der Masse und schafft es gleichzeitig, aus einzelnen Kunden durch Empfehlungen wahre Umsatzspitzen herauszukitzeln – eine geniale Kombination. Und eine gewinnbringende dazu: Allein in Deutschland erzielte Amazon in den vergangenen Jahren jährlich eine Milliarde Euro Umsatz.
Viele Marketing-Konzepte predigen das Alleinstellungsmerkmal als den Weg, sich von anderen abzusetzen und Kunden zu gewinnen. Dabei ist es absolut unnötig, für jedes Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal zu finden. Ein Heizungsbauer baut die Heizung auch nicht anders ein als sein Mitbewerber. Man kann ihn hinbiegen und konstruieren, aber ein Handwerker hat einfach kein Alleinstellungsmerkmal.
Der Unique Selling Point wird heutzutage völlig überbewertet. Selbst für Unternehmen, bei denen eine Alleinstellung möglich ist, bringt diese nicht unbedingt mehr Kunden ein. Denn sie ist weiherhin dem alten Denken verhaftet, wonach ein Unternehmen sich auf eine starre Zielgruppe fokussieren muss. Und diese Strategie bedeutet ganz konkret, Ehemänner und Bastler von den Tupperpartys auszuschließen – mit dem Ergebnis: weniger Umsatz.
Meine feste Überzeugung: Wer sich nicht auf eine Zielgruppe beschränkt, sondern die Masse der Kunden anspricht, die Bedarf an seinen Diensten haben könnte, dem stehen deutlich mehr Möglichkeiten offen. Wer auf diese Weise eine Menge Kunden gefunden hat, kann in einem zweiten Schritt zielgrichtet überprüfen, wer von ihnen Interesse an einer engeren Zusammenarbeit hat.
Das Schleppnetz auslegen
Wie kommt man aber an diese potentiellen Kunden heran? Um auf das Bild des Fischens zurückzukommen: Indem man zunächst das Schleppnetz auslegt und schaut, welche Fische sich darin verfangen.
Das klassische Marketing wendet eine Menge Energie auf, um Daten zu erheben und Adressen zu sammeln. Dabei wird versucht, in die Tiefe vorzustoßen – ein reichlich ineffizientes Verfahren. Denn das Risiko, bei diesem Vorgehen ein Kundensegment vollkommen zu übersehen, ist extrem hoch. Außerdem ist unklar, ob die mit Mühe gesammelten Daten aktuell, korrekt und fundiert sind. Der Mensch ändert ständig seinen Lebensstil. Und manchmal gehen diese Änderungen rasend schnell.
Morgens werde ich zum Beispiel gefragt, ob ich Vegetarier bin. Ich verneine. Mittags erreicht mich die Meldung über den neuesten Fleischskandal. Ich beschließe, ab sofort kein Fleisch mehr zu essen. Und schon ist meine Aussage vom Morgen überholt und der Datensatz der Umfrage veraltet.
Unternehmen sollten sich nicht auf starre Daten verlassen, sondern selbst mit den Kunden in ständigem Kontakt bleiben. Dabei ist es besser, bei diesen Kundenkontakten mit weit gefassten Fragen zu beginnen, wie etwa „Möchten Sie gesund leben?“ anstatt „Sind Sie Vegetarier?“. Wer seine Anfangsfragen allgemein hält, verringert das Risiko, falsche Antworten zu bekommen. Offene Fragen bieten dem Kunden die Möglichkeit, seine Wünsche zu äußern, ohne eingeengt zu werden. Vielleicht kommen damit Bedürfnisse zur Sprache, die mit einer zugespitzten Frage nie erfasst würden.
Die Neuen Medien bieten einen idealen Weg, um mit vielen potentiellen Kunden Kontakt aufzunehmen. Anhand der in den sozialen Netzwerken veröffentlichten Profile kann ich potentielle Kunden aktiv auswählen und mit ihnen in Dialog treten. In diesem Punkt wird das klassische Marketing nie an die Möglichkeiten des PreSales Marketing herankommen, weil es die Kunden nicht so zielgenau filtern kann. Außerdem ist PreSales Marketing wesentlich preiswerter als klassisches Marketing.
Wer sich noch nicht mit klassischem Marketing beschäftigt hat, wird sich wundern, wie viel Geld für Datensätze potentieller Kunden bezahlt wird. Experten gehen von einem Wert von etwa 30 Euro für jede Kundenadresse aus. Aber auch höhere Zahlen sind im Umlauf. So wurden die Datensätze von 260.000 Kunden des in Konkurs gegangenen Internet-Spielzeugladens Toysmart als das größte noch aktivierbare Kapital des Unternehmens angesehen. Jeder Kundeneintrag wurde auf einem Wert von 500 US-Dollar geschätzt. Durch den Einsatz digitaler Netzwerke macht PreSales Marketing solche Ausgaben überflüssig.
Der Weg zum Stammkunden
Wie wird ein Kunde Stammkunde? Zunächst kauft jeder Kunde irgendwo zum ersten Mal. Dann erhält er ein neues Angebot, er kauft noch mal. Und dann kauft er wieder. Und wieder. Auf die Dauer wird er damit zum Stammkunden. Kein Unternehmer ruft irgendjemanden an und fragt: „Möchten Sie nicht mein Stammkunde werden?“
Ein Stammkunde erringt seinen Status mit der Zeit. Am Anfang war auch er nur ein Einmalkäufer. Deshalb ist es entscheidend, zunächst Schleppnetze auszulegen und erst nach einer gewissen Vorsortierung mit der Angel zu arbeiten – also die Beziehung zu einzelnen Kunden gezielt zu intensivieren.
Wie der Fischer beim Angeln braucht auch der Unternehmer ein System, um seine Kunden dazu zu bringen, immer und immer wieder bei ihm zu kaufen. PreSales Marketing ist genau das Konzept, das auf den Massenmarkt setzt und gleichzeitig Stammkunden heranzüchtet. Ich selbst habe damit meinen Stamm an Großkunden deutlich erweitert.
Wenn jemand zum ersten Mal Folienverpackungen bei mir kauft, ist das für mein Unternehmen ein Erfolg. Denn es bedeutet: Dieser Kunde hat grundsätzlich Bedarf an Verpackungen. Der Fisch ist also im Schleppnetz hängen geblieben. Nun gilt es zu prüfen, inwieweit er wieder kaufen will. Weil er bereits Kunde ist, bekommt er einen für ihn relevanten Newsletter, er wird mit den Pressemitteilungen meines Hauses versorgt, und erhält zusätzlich eine Übersicht über die Produkte, die er bei mir gekauft hat. Nun sind Verpackungen Gebrauchsmaterial, das nach einer Weile ausgeht. Da ich den Kunden kenne, kann ich abschätzen, wann ungefähr sein Bestand aufgebraucht ist. Deshalb schicke ich ihm rechtzeitig ein neues Angebot, verbunden mit der Frage nach einem Anschlusskauf. Damit habe ich ihm praktisch das Denken abgenommen: Noch bevor er bemerkt, dass sein Bestand zu Ende geht, kommt die Erinnerung. Die meisten Kunden sind mehr als glücklich über diesen Service und unterschreiben sofort. Dabei empfinden Sie mein Angebot nie als Werbung – denn ich habe sie kontinuierlich mit Informationen versorgt. Hätte ich nach dem Erstkauf den Kontakt nicht gehalten und Monate später lediglich ein neues Angebot geschickt, hätte ich mit Sicherheit lauter Absagen bekommen. Denn Kunden brauchen eine Beziehung zum Verkäufer.
Auch Apotheken schicken monatlich Abrechnungen an ihre Kunden. Aber mir ist noch keine begegnet, die zusätzlich einen Flyer über zusätzliche Angebote mit in den Umschlag packt. Dabei wäre es viel wirkungsvoller, dies zu tun, als die Flyer lose zu verteilen. Denn verknüpft mit wertvollen Informationen – in diesem Fall mit einer wichtigen Abrechnung – nehmen die Kunden den gleichen Flyer nicht als lästige Werbung sondern als persönliche Empfehlung wahr. Und sind dann vielleicht bereit, viel mehr Dienste der Apotheke in Anspruch zu nehmen. So werden aus anonymen Einmalkunden mit etwas Geschick und Beharrlichkeit glückliche Stammkunden. Und die Apotheke kommt über die Masse zur Klasse!