Warum erst beim Tun Anziehungskraft entsteht
Leuchttürme ohne Lichtsignale sind für sich genommen hübsche Ausflugsziele. Eine Funktion erhalten sie aber erst, wenn sie regelmäßig Lichtblitze aussenden – denn nur dann können sich die Schiffe an ihnen orientieren.
Auch in der Wirtschaft müssen Leuchttürme Signale aussenden. Sie geben etwas, um später etwas anderes zu nehmen. Ich zum Beispiel schenke jedem meiner Kunden beim Kundenbesuch etwas – und sei es nur einen Kugelschreiber oder einen Schreibblock. Diese haben allerdings einen aussagekräftigen Aufdruck, etwa die Domain meiner XING-Gruppe. Damit hat der Kunde etwas Handfestes, was er nutzen kann und ihn gleichzeitig an mich erinnert.
Mir ist es wichtig, stets etwas zu geben. Und ich weiß: Langfristig kommt auch wieder etwas zu mir zurück. Meine Gaben sind aber nur selten materiell. Häufiger biete ich an, kostenfreie Seminare zu halten. Auch Zeit, Wissen oder Engagement sind Gaben. Welche genau der Leuchtturm wählt, kommt auf den Zusammenhang an. Wer aber solche Gaben regelmäßig schenkt, tut viel, um die emotionalen Bindungen zwischen Geber und Empfänger zu stärken. So viel, dass sie eines Tages stabil genug sind, um sich für geschäftliche Beziehungen zu eignen.
Diese Möglichkeit steht jedem Unternehmen offen. Dienstleister können mit immateriellen Gaben punkten. Eine Autowerkstatt etwa könnte jedem Kunden, der seinen Wagen zur Wartung bringt, eine Kurzschulung in wichtigen Pflegearbeiten geben. Wie fühle ich Frostschutzmittel nach? Wo sitzen die Sicherungen? Solche Tipps bilden eine gute Investition in die Kundenzufriedenheit und damit in die Kundenbindung.
Es sind die kleinen Signale, die die Beziehung zum Kunden erhalten. Eine gut gemachte Webseite zu haben genügt zum Beispiel nicht, um als Leuchtturm dauerhaft erkannt zu werden. Eine gelungene Webseite ist die Basis – diese sollte aber regelmäßig aktualisiert werden. Damit zeigt der Leuchtturm, dass er Veränderungen des Marktes wahrnimmt und auf sie reagiert. Letztendlich entsteht durch die dauernde Aktualisierung einer Webseite ein permanentes Management der Kontakte, denn Internetuser reagieren nicht auf tote Seiten. Auf Änderungen aber schon: Sie kommentieren sie oder fordern Informationen an.
Wer Signale aussendet, will bestimmte Reaktionen hervorrufen. Deshalb sollte sich jeder Leuchtturm zunächst die Frage stellen, welche Signale zu ihm passen. Nicht jedem Unternehmen steht jedes beliebige Signal zur Verfügung. Ein Start-up etwa kann schlecht mit langjähriger Erfahrung trumpfen. Das widerspricht der menschlichen Logik, macht misstrauisch und sollte daher nicht einmal versucht werden. An erster Stelle steht also ein Selbst-Check. Was will ich erreichen? Wo liegen meine Schwächen, wo meine Stärken und wo sind meine Grenzen?
Ein kritischer Check fördert womöglich viele Schwächen zum Vorschein. Aber mit einer kleinen Portion Unferfrorenheit lassen sich selbst die scheinbar größten Schwächen in Stärken verwandeln.
Als junger Vertriebler sprach ich einmal beim Lebensmittel-Discounter Lidl vor. Der Einkäufer fragte mich nach Referenzen. „Noch habe ich keine, aber demnächst kann ich Sie als Kunden vorweisen“, antwortete ich. Und relativ schnell stellte ich fest: Frechheit siegt! Der Einkäufer war von meiner Antwort angetan und beauftragte mich. Was ich aus dieser Situation gelernt habe: Unerfahrenheit kann man auch als Unbeschwertheit auslegen. Ein Start-up kann damit argumentieren, dass es flexibler arbeitet als ein alteingesessenes Unternehmen, weil seine Strukturen noch nicht verkrustet sind. Und schon hat sich die vermeintliche Schwäche in einen Vorteil verwandelt.
Ein Leuchtturm-Unternehmen, das aus seinen Schwächen Stärken machen will, würde auftreten wie die Autovermietung Avis, die nach Hertz die beste Marktposition hat. Avis wirbt mit dem Slogan: „We are No. 2, we try harder.” Der Autovermieter kokettiert damit, dass er eben – noch – nicht Marktführer ist. Implizit sagt der Slogan aus: „Wir sind noch nicht Nummer eins, deshalb versuchen wir, unseren Job besonders gut zu machen. Und sind damit eigentlich viel besser als die Nummer Eins.“
Die Stabilität eines Leuchtturms
Auch ohne Signale auszusenden, vermittelt ein Leuchtturm Stabilität. Denn ein Leuchtturm ändert seinen Standpunkt nicht, wie folgender Witz illustriert:
Ein Schiff erhält den Funkspruch: „Sie befinden sich auf Kollisionskurs.“
Der Kapitän antwortet: „Weichen Sie aus, wir sind ein Kriegsschiff.“
Darauf empfängt er den Funkspruch: „Wir können nicht ausweichen, wir sind ein Leuchtturm.“
Ein Leuchtturm ist ein Fixpunkt und dient anderen zur Orientierung. Das bedeutet jedoch nicht, dass Leuchttürme stur nach Schema F handeln. Vom ehemaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer sind die Worte überliefert: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Damit zeigte der erste Kanzler der Bundesrepublik, dass er flexibel war. Statt einzuräumen, dass er sich opportunistisch verhalten hatte, betonte er seinen Standpunkt. In diesem Fall lag die Stabilität in der Flexibilität.
Leuchttürme sind Unternehmen oder Personen, auf die man sich verlassen kann. Nicht im Sinne von Pünktlichkeit, sondern in dem Sinne, dass sie ihre Rolle zuverlässig spielen und dass sie die Erwartungen, die an sie gestellt werden, erfüllen. Wenn etwa Alice Schwarzer bei einer Talkshow erscheint, ist von vornherein klar, dass es zu Kontroversen kommen wird. Von Apples Neuprodukten erwartet jeder ein cooles Design – und von der Telekom eher behäbige Waren.
Unternehmen, die eine Leuchtturm-Rolle ausüben, bieten also ein verlässliches Bild in der Öffentlichkeit. Auch wenn sie gerade keine Signale aussenden. Natürlich müssen Unternehmen Signale aussenden, um zum Leuchtturm zu werden. Das bedeutet aber nicht, dass Leuchttürme andauernd etwas geben müssen, um ihre Rolle zu bewahren. Denn auch im einfachen Sein liegt eine zuverlässige Beständigkeit. Für ein Kind ist der eigene Vater immer ein Leuchtturm, allein schon durch seine Anwesenheit. Daher muss es gar nicht so anstrengend sein, die Leuchtturm-Funktion auszuüben.
Künstliche Verknappung
„Willst Du was gelten, mach Dich selten“, sagt der Volksmund. Neben dem Aussenden von Signalen und der Beständigkeit gibt es einen dritten Weg, sich als Leuchtturm zu etablieren: die künstliche Verknappung. Diese Strategie nutzen vor allem Personen, um sich als Leuchtturm zu etablieren.
Werner Bahlsen ist einer der Unternehmer, die diese Strategie verfolgen: Der Chef der traditionsreichen Keksfirma meidet bewusst die Öffentlichkeit. So gibt es auch Musiker, die nur vom Studio aus arbeiten und nie auf Konzerttour gehen. Und bei Apple tritt stets nur CEO und Mitgründer Steve Jobs öffentlich auf – auch das selten und nur in sorgfältig arrangierten Bühnenshows. Seine Auftritte werden zu Events hochstilisiert, die sowohl die Apple-Fangemeinde als auch die Presse andächtig verfolgen.
Unternehmen wählen diese Strategie, wenn sie Sondereditionen auflegen. Der Kamerahersteller Leica bringt regelmäßig limitierte Editionen seiner Fotoapparate auf den Markt, die zum Beispiel in einer besonderen Farbe oder mit einem besonderen Leder ausgestattet und nur in einer geringen Auflage verfügbar sind. Sammler legen sich die Kameras zu in dem Bewusstsein, etwas Exklusives zu erwerben oder etwas, dessen Wert womöglich steigen wird.
Allerdings funktioniert die Strategie des „Sich-rar-machens“ bei Personen besser als bei Produkten. Denn heutzutage lassen sich Kunden durch die Ankündigung eines knappen Angebots nur selten unter Druck setzen. Sie gehen davon aus, dass das vermeintlich knappe Angebot schon wenig später bei Ebay oder anderen Anbietern erhältlich sein wird. Für das iPhone standen die Käufer noch Schlange, für das iPad schon nicht mehr. Auch für Sonderangebote von Aldi stehen die Kunden nicht mehr vor Ladenöffnung an, obwohl die Produktqualität hoch und die Preise der Aktionsartikel günstig sind. Der Kunde reagiert bei Produkten einfach nicht mehr auf die Strategie der künstlichen Verknappung.
Leuchtturm-Unternehmen sollten daher sorgfältig prüfen, ob diese Strategie für sie die richtige ist. Denn selbst kleine Fehler können große Auswirkungen haben. Wenn etwa ein neuer Mitarbeiter eine Mail an einen Kunden versendet, ohne eine Signatur eingerichtet zu haben, kann dies zu unangenehmen Rückfragen führen. Der Kunde ist irritiert und fragt sich „Arbeitet dieser Mensch wirklich bei Ihnen oder ist das eine Spam-Mail?“ Selbst wenn ein Rückruf das Missverständnis ausräumt, bleibt beim Kunden das Gefühl zurück, dass bei diesem Unternehmen nicht alles im Lot ist. Ein scheinbar kleines Versehen kann große Folgen nach sich ziehen.
Der kleine Unterschied
Unternehmen können nicht nur ihren Namen, sondern auch ihre Produkte zum Leuchten bringen. Zu diesem Ziel kommen sie manchmal mit ganz einfachen Strategien. Eine von ihnen besteht darin, dem potentiellen Kunden Entscheidungen zu erleichtern.
Menschen möchten sich orientieren, bevor sie eine Entscheidung treffen. Deshalb hängen Restaurants eine Speisekarte vor die Tür: Der Kunde schaut, welche Speisen zur Auswahl stehen und in welcher Preiskategorie sie liegen. Auf dieser Basis entscheidet er sich, ob er eintreten möchte oder nicht.
Fast Food-Restaurents funktionieren deshalb so gut, weil der Kunde sich noch leichter orientieren kann als in traditionellen Lokalen. Ein Becher Cola wird zum Beispiel in drei Größen angeboten: klein, mittel oder groß. Wie viele Milliliter ein Becher enthält, ist dabei völlig irrelevant. Früher enthielt die kleine Cola bei McDonalds 0,2 Liter, dann 0,25 Liter, jetzt 0,3 Liter. Diese Angaben machen dem Kunden die Entscheidung allerdings nicht wesentlich leichter. Deshalb wird die Cola einfach in drei Größen verkauft, das versteht jeder.
Wer dort einen Burger bestellt, bekommt in der Regel die Nachfrage: „Mit kleiner oder großer Portion Pommes?“. Diese Angebote sorgen für Zusatzverkäufe. Die Kunden bekommen durch die Alternativfrage den Eindruck, sie hätten einen großen Entscheidungsspielraum – dabei wären sie vielleicht gar nicht darauf gekommen, noch Pommes Frites zu bestellen.
Entscheidend bei dieser Strategie ist, dass die angebotenen Alternativen verständlich sind. Im Internet werben Anbieter häufig mit einem Standard-, einem Premium- und einem Goldzugang. Was genau der Unterschied ist? Das kann sich kein Mensch vorstellen. Erst nach Lektüre der Geschäftsbedingungen ist klar, welche Vorteile die einzelnen Angebote enthalten. Diese Strategie ist eindeutig zu kompliziert, um zu funktionieren.
McDonalds macht den Kunden in letzter Zeit die Entscheidungen noch einfacher – und schraubt damit den Umsatz hoch. Bestellt jemand ein Menü, so wird automatisch das Maxi-Menü bereitet. Früher wurde der Kunde noch gefragt: „Möchten Sie das Medium- oder das Maxi-Menü?“ Falls er heute das kleinere möchte, muss der Kunde dies von sich aus sagen.
Schwarz oder Weiß
Ein zweiter Weg, sich von anderen Unternehmen abzuheben und zum Leuchtturm aufzusteigen ist eine radikale Einschränkung des Angebots. Inn-N-Out, eine Burger-Kette aus den USA, bietet lediglich zwei Burger an, den Hamburger und den Cheeseburger. Diese beiden Sorten werden außerdem in zwei Größen verkauft. Der Erfolg ist sensationell, und zwar deshalb, weil die Entscheidung sehr stark erleichtert wurde. Der Kunde wählt praktisch nur zwischen Schwarz und Weiß, das ganze Spektrum der Grauwerte wird ausgeblendet.
Auf jeden Fall wird eine solche Strategie erfolgreicher als das Mittelmaß sein. Analysieren Sie zunächst Ihre Zielgruppe, um zu ermitteln, ob der Weg einer künstlichen Verknappung für Sie geeignet ist. Denn auch das Gegenteil, eine enorm große Auswahl, kann eine wirkungsvolle Strategie sein.
Stellen Sie sich die fiktive Pizzeria „Antonio“ vor, die lediglich zwei Pizzen anbietet: die schlichte Pizza Margherita und die Pizza Speciale „mit allem“. Daneben öffnet Pizzeria „Bella“, die 100 verschiedene Pizzen auf der Speisekarte hat, darunter sogar eine Sorte mit Straußenfleisch. Welche Pizzeria werden die Kunden bevorzugen? Meine Überzeugung: Beide Angebote werden funktionieren. Beide Pizzerien heben sich von allen anderen Restaurants der Umgebung ab. Pizzeria Antonio wird aufgrund der Spezialisierung sehr niedrige Preise nehmen, Pizzeria Bella wird aufgrund der ungeheuer großen und ausgefallenen Auswahl relativ hohe Preise erzielen müssen. Und jede wird auf ihre Kosten kommen. Denn beide Wege sind gangbar und auf jeden Fall besser als das Mittelmaß.
Auch für einen simplen Imbiss lässt sich diese Strategie umsetzen. Ein Grillwagen, der nur Hähnchen im Angebot hat, fährt besser als einer, der Hähnchen und Bratwurst anbietet. Zwar ist die Auswahl eingeschränkt, doch der Kunde empfindet das als Spezialisierung: „Hähnchen? Da kenne ich einen, der hat die allerbesten.“
Weitet ein Anbieter das Angebot zu stark aus, riskiert er, dass es beliebig wirkt. Ein Caterer, der indische, türkische und italienische Gerichte anbietet, wirkt nicht besonders vertrauenswürdig. Und ein Imbiss, der Hähnchen, Pizza und Bratwurst im Angebot hat, bleibt auf seinen Würsten sitzen. Denn die nicht verkauften Würstchen bleiben auf dem Grill liegen und bieten einen abschreckenden Anblick. Wer also beliebig ist, kann kein Leuchtturm werden.
Verkaufen ja, aber nicht um jeden Preis
Die kleinen Gaben, die das Vertrauen der Kunden stetig erhöhen, sind wirkungsvoller als die Verkäufe unter allen Umständen zu forcieren, wie etwa beim Power-Selling. Natürlich kann man versuchen, mit hohem Aufwand ein Produkt in den Markt zu pressen. Doch das Risiko, dass potentielle Kunden den Werbeaufwand und den Verkaufsdruck als unangenehm empfinden, ist sehr hoch. Es kann sogar passieren, dass der Kunde komplett abblockt.
Ich vergleiche Power-Selling mit einem Sportler, der übertrieben viel trainiert. Wenn er sich dabei eine Muskelzerrung zuzieht, kann er diese vielleicht noch überspielen, riskiert jedoch auch, dass der Muskel beschädigt wird. Dann muss er letztlich eine lange Ruhepause zur Heilung einlegen. Ein solches Vorgehen setzt deshalb den langfristigen Erfolg aufs Spiel.
Power-Selling ist nichts für Leuchtturm-Unternehmen. Viel erfolgversprechender ist ein gut durchdachte Strategie, die ohne Übertreibung auskommt. Denn es geht nicht darum, beim Kunden mit der Tür ins Haus zu fallen. Ein Leuchtturm-Unternehmen läuft seinen Kunden nicht hinterher, sondern setzt auf Stabilität, auf einen zuverlässigen Auftritt und auf das stetige Aussenden von Signalen. Dann kommen die Kunden selbst zum Leuchtturm – nicht umgekehrt. Dieser Weg verlangt zwar einen gewissen Aufwand, doch keine Überanstrengung. Und bringt zudem dauerhaft Erfolg.
Wer diese Meisterklasse des Verkaufens beherrscht, muss nicht ständig Kaltakquise betreiben und neue Kunden anbeamen. Die klassischen Methoden des Marketing, die vermeintliche Kunden nach dem Gießkannenprinzip ansprechen, vertreiben gleichzeitig auch viele Interessenten: Denn sie sind genervt sind von der dauernden Werbung. Ein Leuchtturm-Unternehmen vermeidet diese Falle. Seine Methoden sind elegant und wirkungsvoll zugleich. Dazu gehört auch, sich zurückzulehnen und abzuwarten, bis die Kunden auf die stetigen Signale des Unternehmens reagieren. Leuchtturm-Unternehmer sind die Großmeister des Verkaufs, ohne sich übermäßig Mühe zu geben. Sie investieren in Kontakte statt in Werbegeschenke.