Miteinander reden

Warum Märkte tatsächlich Gespräche sind

Willkommen im Zeitalter der Quasselstrippen: Mit dem Internet und seinen vielen neuen Kommunikationswegen hat eine Ära des Massengeplauders begonnen. Menschen schreiben E-Mails. Sie versenden Newsletter und die Erfolgsbotschaft des Tages. Über Skype wird nicht nur telefoniert, sondern auch gechattet und wer möchte, kann sich dabei via Bildschirm in die Augen sehen oder zunicken. Manche machen ihre Ideen über ihre Webseiten publik. Andere veröffentlichen ihre Ansichten in Blogs. Auf XING werden Steckbriefe formuliert, auf Facebook Statusmeldungen abgegeben. Es wird so viel kommuniziert wie nie zuvor. Und das ist gut so. Denn Kommunikation ist die Grundlage jeden Handels. Und der größte aller denkbaren Handelsplätze ist heute das Internet.
Als Anfang der 90er Jahre der Grundstein für das gelegt wurde, was wir heute unter dem Begriff „Internet“ kennen, da war es noch kein Handelsplatz und weit entfernt von allen Anwendungen des Web 2.0. Geläufig war es lediglich international arbeitenden Wissenschaftlern und einer Handvoll Nerds, also abgedrehten Computerfreaks. Dann wagten sich die ersten Privatleute hinaus in die virtuelle Weite. Anfangs dachte niemand daran, dort Dinge zu verkaufen. Es ging darum, sich mit anderen zu unterhalten – oder auch nur vor sich hinzureden, in der Hoffnung, dass jemand zuhört. Aus diesen Unterhaltungen, dem Wunsch, sich mitzuteilen, entwickelten sich erste Projekte: Newsgroups, Chatrooms, Foren. Boris Becker krähte im Werbespot, „Bin ich schon drin?“ und freute sich wie ein Schneekönig über seinen schnellen Erfolg. Sie erinnern sich? Menschen erstellten Websites, um andere über ihre Hobbys und Vorlieben zu informieren. Seht mal, ich bin interessant! Und fast immer fand sich jemand, der bereit war, dem zuzustimmen.
Aus dem Austausch entstanden Beziehungen. Menschen traten miteinander in Kontakt, die sich sonst vielleicht nie begegnet wären. Das Netz bekam seinen Namen, weil es Menschen vernetzte. War es da nicht selbstverständlich, dass findige Köpfe auf die Idee kamen, es für ihre Marketingaktivitäten zu nutzen?

Back to the roots

Der Markt, das Handeln von Waren und die damit verbundene Kommunikation gehören zu den Grundlagen nahezu jeder Gesellschaft auf dieser Erde und das seit Jahrtausenden. Die Regeln des Marktes sind uns wortwörtlich in Fleisch und Blut übergegangen. Selbst zwei Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, können miteinander feilschen. Jeder, der schon einmal auf einer Reise nach Souvenirs Ausschau gehalten hat, weiß das. Mit Gesten und Mimik lässt sich sowohl der Preis eines Teegefäßes in Thailand ausmachen als auch der Wert einer Tüte Vanilleschoten in Mexiko. Kleines Beispiel gefällig? Was ist aus diesen Gesten herauszulesen?
Käufer: Auf die Tüte zeigen, beide Hände nach außen drehen und Kopf leicht schief legen. Augenbrauen hoch – lächeln.
Händler: Viele Finger heben.
Käufer: Die Hälfte der Finger heben.
Händler: Augen aufreißen, Kopf schütteln. Auf die Tüte zeigen. Mehr Finger heben.
Nun einigt man sich in der Mitte und besiegelt den Tausch von Geld und Ware mit einem Nicken oder gar mit einem Handschlag. Der Handel ist perfekt. Oder der Käufer schüttelt den Kopf und geht weiter.
Viele Gesten werden weltweit verstanden. Sie können aber auch missverstanden werden, wenn sie nur einen Deut abweichen von der Norm. Von dem, was in dieser Gesellschaft üblich ist. Ein Nicken kann in Asien bedeuten, dass der andere das Anliegen verstanden hat. Es muss nicht heißen, dass er einverstanden ist.
Selbst zwischen deutschen und Schweizer Geschäftsleuten kommt es häufig zu Irritationen, weil die Codes minimal abweichen. Zum Beispiel bei der Auftragsvergabe. Der Deutsche erkundigt sich, ob sein Angebot in Ordnung ist: „Passt alles?“ – Der Schweizer darauf: „Ja, das passt“. Damit ist für den Schweizer alles gesagt. Für den Deutschen noch lange nicht, er möchte nun den Knopf dran machen, denn noch scheint ihm der Auftrag nicht vergeben: „Also kann ich den Auftrag buchen?“ hakt er nach. Das irritiert den Schweizer, der ja bereits zugesagt hat. Umgekehrt sind die Deutschen nach einem solchen Gespräch und der Bemerkung „Ja, das passt!“ mehr als verwundert, wenn ihnen in der Folge bereits die Auftragsbestätigungen ins Haus flattern. Minimale Unterschiede, die zum Scheitern von Geschäftsbeziehungen führen können. Wenn nicht rechtzeitig über das Missverständnis gesprochen wird.
Missverständnisse kann es auch bei den Umgangsformen geben. Auf der Einladung zu einem Unternehmens-Treffen in der Schweiz war der Kleidungs-Code „casual“ angegeben, Start der Veranstaltung sollte um 18 Uhr sein. Doch ich war der einzige, der ohne Anzug erschienen ist – und peinlich berührt über seinen Fehler war. Ich hätte mich besser informieren müssen! Verbale und nonverbale Kommunikation. Was habe ich an diesem Abend mit meinem Pullover gesagt? Ich habe keine Ahnung, sorry!

Verpassen Sie nicht den Markttag!

Wer die Kunst der Kommunikation beherrscht, hat definitiv bessere Chancen, sich auf den internationalen Märkten durchzusetzen. Das war schon so, als es noch keine globalen, sondern nur lokale Märkte gab. Und das Internet noch nicht einmal als Idee existierte. Gehen wir noch ein Stück weiter zurück: als es noch nicht einmal Telefon gab.
In diesen düsteren Zeiten, in denen man nach einem langen Tag auf dem Feld keine Pizza bestellen konnte und das Entertainment nicht aus den Serien-Hits im Privatfernsehen bestand, sondern aus dem sonntäglichen Kirchgang, gehörten die Markttage zu den wichtigsten und aufregendsten Ereignissen des Jahres.
Christopher Locke beschreibt es im Bestseller „The Cluetrain Manifesto“ etwa so: „Vor 5.000 Jahren war der Marktplatz der Dreh- und Angelpunkt unserer Zivilisation. Ein Ort an dem Händler exotische Gewürze, Seide, Affen, Papageien, Juwelen feil boten, die sie aus fremden Ländern mitgebracht hatten – und fantastische Geschichten.“ Wer hätte da fehlen wollen?
Sicher ist: Wer den Markttag verpasste, hatte auf all diese begehrenswerten Dinge keinen Zugriff. Er war abgeschnitten. Nicht nur von den Waren, sondern auch vom Informationsfluss. Denn genauso wichtig wie die Güter, die auf den Märkten die Besitzer wechselten, waren die Nachrichten, die dort feilgeboten wurden. Und noch wichtiger waren die Beziehungen, die geknüpft werden konnten. Daran hat sich in 5.000 Jahren nichts geändert. Erster Satz des Cluetrain Manifestos: „Märkte sind Gespräche“.
Wer also beim jährlichen Markttag nicht dabei war, blieb außen vor. Da war nichts nachzulesen oder zu googeln. Nicht, wo es den billigsten Mais gab, nicht, wo gerade Arbeitskräfte gesucht wurden. Vor allem aber: keinen Tratsch, keine Neuigkeiten von den Nachbarn, keine Insider-Infos. Dieses wunderbare Grundrauschen eines geschäftigen Tages. Bei wem läuft der Laden gut? Wer hat drei Kunden in Folge verärgert und wer ist vertrauenswürdig? Darüber wurde nebenbei gesprochen, zwischen zwei Handschlägen. En passant.
Aber genau diese eigentlich nebensächlichen Gespräche sind es oft, die über einen erfolgreichen Deal entscheiden. Die letztlich dafür sorgen, dass der Kunde bei diesem und nur bei diesem Händler kauft. Warum? Weil Gespräche Beziehungen aufbauen und festigen. Beziehungen sind wertvoller als Waren. Zumindest dann, wenn die Waren bezahlbar und in identischer Qualität von mehreren Verkäufern angeboten werden. Womit wir uns wieder in der Jetztzeit befinden. In einer Welt der globalen Märkte. Und mit Internet.

Im Schraubenforum

Das Internet erlaubt uns nämlich nicht nur, weltweit mit anderen Menschen zu kommunizieren. Rein theoretisch könnten wir auch mit allen anderen handeln. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Herr Mutter will eine Schraube kaufen. Weil Herr Mutter das mit den globalen Märkten und der Informationsgesellschaft verstanden hat, geht er erst einmal online. Auf Wikipedia und in den Archiven diverser Nachrichtenseiten macht er sich schlau, welche Typen von Schrauben es gibt und welche Schraube für ihn optimal ist. Weil er Menschen mehr vertraut als Medien, liest er zusätzlich noch die Erfahrungsberichte in dem einen oder anderen Schraubenforum durch. Jetzt fühlt er sich gut informiert.
Über eine Seite zum Preisvergleich sucht er nach dem günstigsten Angebot. Es finden sich zwanzig Händler, die genau diese Schraube in ihrem Sortiment haben, für 1,99 Euro das Stück. Herr Mutter vergleicht die Kosten für die Verpackung und die Lieferzeiten und sortiert zehn Händler aus. Fünf weitere lassen in Sachen Serviceleistung zu wünschen übrig. Bleiben immer noch fünf, die drei Jahre Garantie geben, 24 Tage Rückgaberecht einräumen und ein rund um die Uhr erreichbares Servicetelefon anbieten. Wo kauft Herr Mutter nun seine Schraube?
Wenn es rational betrachtet keinen Unterschied macht, ob er bei Händler A oder Händler B kauft, wird er die Entscheidung nach emotionalen Gesichtspunkten treffen. Vielleicht ist es die Website, die den Ausschlag gibt: schöne Farben, angenehme Musik, das Foto auf der Startseite erinnert ihn an den letzten Urlaub, an Mamas Apfelkuchen, an die nächste Gehaltserhöhung. Vielleicht triggert der Name des Verkäufers etwas – bestenfalls, weil dieser Kommunikationsmittel genutzt hat, die einen guten Eindruck hinterlassen haben. Weil die Botschaft lustig war oder clever oder grundehrlich. Vielleicht hat Herr Mutter auch mal von jemandem gehört der von jemandem gehört hat der dort gekauft hat und zufrieden war. Der Schraubenanbieter hat jedenfalls alles richtig gemacht. Er könnte sich jetzt zurücklehnen und darauf warten, dass Herr Mutter bei ihm kauft.
Oder er könnte noch einmal an ein paar Stellschrauben drehen, um genau dieses positive Gefühl ins Spiel zu bringen, dass es für das entscheidende Ja braucht. Emotionen lassen sich nicht erzwingen. Aber befeuern lassen sie sich schon.

Emotion und neue Regeln 

Tatsächlich spielen Emotionen eine wachsende Rolle auf unseren Märkten. Das liegt zum einen daran, dass wir uns zu einer Gesellschaft entwickeln, die zunehmend mit Dienstleistungen handelt, mit Rechten und Ideen. Also mit gefühlten oder fühlbaren Werten, die sich jedoch nicht anfassen lassen. Zum anderen aber auch daran, dass das Netz unsere Art zu kommunizieren emotionalisiert hat. Am Anfang ging es im Internet eher darum, sich selbst auszudrücken, als sich zu vermarkten. Dabei wurden eine ganze Reihe neuer Regeln aufgestellt und einige alte über den Haufen geworfen. Ein Beispiel: Spontaneität. Diese gab es in der Fernkommunikation nämlich bis Anfang des letzten Jahrhunderts nicht.
Man kann sich heute kaum noch vorstellen, dass berittene Boten einst Wochen unterwegs waren, um eine Nachricht von A nach B zu bringen. Wie lange haben Menschen wohl gebraucht, um einen Brief zu schreiben? Es musste ja wirklich alles unmissverständlich und makellos aufgeführt sein, denn meist ging es um entscheidende Fragen: Welche von Ihren drei Töchtern soll ich jetzt zur Frau nehmen? Die Möglichkeit für eine Rückfrage bot sich oft erst Wochen später. Und wenn der Brief einmal unterwegs war, hieß es warten. Lange warten. Bis die Antwort kam. Die Zeit, die verging, war reine Wartezeit, sie zahlte nicht auf das Beziehungskonto ein.
Das Telefon hat die Kommunikation zwischen Geschäftspartnern deutlich erleichtert. Endlich konnten Gespräche mit weit entfernten Personen in Echtzeit ablaufen. Aber auch diese teuren Fernverbindungen wurden noch überlegt geplant und auf Ausnahmen beschränkt. Richtig spontan wurde die berufliche Kommunikation erst durch den Einsatz von E-Mails oder Chats. Und dadurch wurde sie zwar persönlich, schneller, direkter, aber auch – zugegebenermaßen – undeutlicher, unpräziser, schlicht: geschwätziger. Eine E-Mail mit drei ??? im Betreff ist genau so schnell zurück gefeuert, wie man „Hä?“ sagen kann. Und in diesem Moment etwa genauso höflich.
Während das Telefon noch in der Lage war, schlechte Laune oder einen Scherz zu transportieren, lieferte die Kommunikation via Mail in den ersten Jahren nur sachliche Information. Zwischentöne wurden kaum ausgedrückt, es war chic, möglichst sachlich, womöglich sogar nur in Stichworten zu kommunizieren. Freude oder ein Augenzwinkern wurden in winzige elementare Symbole gepackt. Doch dutzendweise Smileys in den Text einzubauen genügt schon längst nicht mehr.
E-Mails und andere Kanäle der neuen Medien bieten uns heute, was uns für einige Jahre zumindest im Berufsleben nicht mehr zugänglich war: die emotionale Kommunikation des Marktplatzes. Die Zeiten, in denen man sich hinter den kalten Methoden des klassischen Marketing verstecken konnte, sind vorbei.
Stattdessen werden Faktoren wie Vertrauen, Sympathie oder Transparenz immer wichtiger. Mit Werbung lassen sich zwar Emotionen wecken, aber nur bedingt steuern. Nur, weil jemand im Kino über einen brillanten Spot gelacht hat, heißt das nämlich noch lange nicht, dass er dem Hersteller auch vertraut.
Aber genau hier setzt PreSales Marketing an. Vertrauen entsteht, wenn man nicht nur am Markttag anwesend ist. Man muss die Runde machen. Hier eine Hand schütteln, da auf eine Schulter klopfen. Hören, worüber geredet wird. Seine Meinung sagen. Stellung beziehen. Gemeinsam lachen. Beziehungen aufbauen, die dann langfristig die Vorreiterstellung am Markt sichern.

Informationen filtern

Das Netz hat den Markt zu uns gebracht. Wer einen Computer hat oder auch nur ein Smartphone, kann Präsenz zeigen. Kommunikationsplattformen wie Twitter, Facebook oder XING ermöglichen es jedem, sich sofort in das Geschehen einzumischen. Nie war es einfacher, zu kommunizieren. Nie ließen sich so leicht Kontakte knüpfen, Kontakte vervielfachen und verbindliche Beziehungen pflegen. Und nie war es so kompliziert.
Die Ruhe, da müssen wir uns nichts vormachen, ist dahin. Arbeiten in Zeiten des Web 2.0 ist ein bisschen, als hätte man seinen Schreibtisch zwischen Gemüse-Heiner und Aale-Dieter aufgestellt: Es ist laut. Unruhig. Das macht es schwieriger sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Was genau war noch mal das Wesentliche? Ach ja – Informationen filtern. Sich nicht ablenken lassen. Wann muss ich agieren? Wann reagieren? Wie viele Gedanken muss ich durch die Kanäle jagen, um wahrgenommen zu werden? Das alles sind Fragen, die noch niemand klar beantworten kann. Und vermutlich auch nie beantworten können wird.
Der Umgang mit den neuen Medien ist ein Lernprozess, der viel mit Persönlichkeit zu tun hat. Mit der eigenen und der des Gegenübers. Der eine lässt sich am besten mit einem handgeschriebenen Brief milde stimmen. Der andere freut sich über einen Anruf. Und wieder ein anderer schätzt es, dass seine Gedanken via Twitter aufgegriffen und weitergegeben werden. Wer von den möglichen Handelspartnern jedoch welchen Kanal bevorzugt, wird man nur herausfinden, wenn man bereit ist, auf den Markt zu gehen und dort in Kontakt zu treten.
Die Mittel, um Beziehungen zu pflegen, sind vorhanden. Aber die Beziehungen aufzubauen ist eine Arbeit, die nicht einmal das Web 2.0 kann. Das können nach wie vor nur wir Menschen selbst. Allerdings: Die neuen Technologien und ihr cleverer Einsatz können uns dabei mächtig unter die Arme greifen!

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